Was man sieht, ist, was er tut.
"Ich ziehe Linien, frei Hand, längs und quer wie beim Karopapier", sagt
Jürgen Krause. Eben das hängt nun an der Wand der AusstellungsHalle
Schulstraße 1A: kariertes Papier. An konzentrierten Juni-Tagen in
Handarbeit hergestellt. Von "Rasterhandzeichnung" spricht der von Thomas
Bayrle geschulte Künstler. Minimalismus als Meditation. In der Vitrine
daneben lagert das Handwerkszeug des Zeichners. Lauter Bleistifte. Sie
sehen komisch aus. Und wären auch ohne schützende Abdeckung nicht zu
greifen. Denn: Krause stößt zum Kern vor: "Ich schneide rund um
Bleitstiftminen das Holz in Spänen weg bis an die Stiftenden." Bis zur
Entblößung des Bleistifts. Insofern handelt die Ausstellung, die "zum
Thema Zeichnung" innerhalb der Reihe "Kunst in Frankfurt" aufgeblättert
wird - insgesamt fesseln acht charakteristische Hand-Schriften -, auch vom
Minenlegen.
Durchweg offenbart sie einen konzeptuellen Ansatz. Thomas
Hombach bedeckt die Stirnwand der Halle mit Formaten zum assoziativen
Gebrauch. Er selbst sagt über seine Arbeitsweise: "Im Jahr 2003 zeichnete
ich eine Jagdszene. Meine Frau las mir folgenden Satz des Philosophen
Nietzsche vor: "Es gibt kuriose Schützen, welche zwar das Ziel verfehlen,
aber mit dem heimlichen Stolz vom Schießstande abtreten, dass sie etwas
anderes getroffen haben."
Immer formvollendet präsentiert sich die an
den Geheimnissen der Biologie interessierte Zero Reiko Ishihara: "Spannend
ist für mich, herauszufinden, welche Wesen die Welt bilden und welches
System sie innehaben." Unterdessen versucht sich die Künstlerin
passioniert an der Schöpfung neuer Lebewesen auf dem Papier. "Die
Verwandlung" heißt eine Serie von Zeichnungen. Kein Schelm, wer dabei an
Kafka denkt.
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Dass Christoph Borowiak aus
einer anderen Welt kommt, sieht man sofort: Der Mann hatte schon mal ein
Anatomiebuch in der Hand. Seine Zeichnungen - "Blütenblatt",
"Achselhöhle" - sprechen Bände. Subkutan gedacht, akribisch angelegt
sind die Strichführungen, die Faserbildung förmlich zu substituieren
suchen.Borowiak hat Zahnmedizin studiert, zudem Kunstgeschichte und
Philosophie gehört und Hermann Nitschs Städelschul-Klasse besucht.
Unter die Haut - berühmter Gemälde - gehen auch die Craquelé-Werke von
Jan Schmidt. In weißen Grund ritzt der gebürtige Wiesbadener, der in
Frankfurt Schüler von Ayse Erkmen war, die Vergänglichkeit, indem er die
Haarrisse kopiert, die sich mit den Jahren auf Bildern bilden. Die
Alterungserscheinungen der Alten Meister mit der Lupe suchend: Dabei
könnte sich der Betrachter ertappen. Doch: Who is who? Unmöglich die
Identifikation. Hängen da "Hamlet und Horatio auf dem Friedhof" oder "Der
büßende Hieronymus und ein junger Karmelitermönch"? Gemälde im Städel
knöpft sich Schmidt vor. Und denkt schon an den eigenen Nachruhm. "Da ich
dieselben Materialien verwende, werden auch meine Bilder eines Tages ein
Craquelé bekommen. Dann überlagern sich zwei Alterungsprozesse. "Weiteres
wird ausgependelt: Wurmartig ringeln und schlängeln sich organisch
wirkende Gebilde über die Bildfläche".
"Regelloses rhizoides Wachstum"
wurde darin gesehen. Indes: Regellos funktioniert die Produktion
mitnichten. Diese Werkgruppe entsteht in einer strengen Versuchsanordnung
halbautomatisch mit Hilfe eines Akkuschraubers, in dem ein Bleistift
steckt. Dessen Spur auf dem Papier steuert der Künstler, indem er das
jeweilige Blatt dreht. Letzten Endes behandelt Schmidt die Zeit, die in
der Kunst steckt. Und raus will.
Frankfurter Rundschau, 23. Juli 2010
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