Arbeit, Familie, Vaterland
Von Christoph Schütte
 
Pétain als Maler:
Vollrad Kutscher inszeniert ein Menetekel mit Gästen
in der Frankfurter Ausstellungshalle 1A.


"Wer keinen Mut zum Träumen hat, hat keine Kraft zu kämpfen." Ja, lang ist's her. Ein Spruch fürs Poesiealbum im Zeitalter des Pragmatismus. Und doch, es ist ja etwas dran. Wenn Künstler träumen freilich, ist mitunter Vorsicht angebracht. Sei es, weil die Traumgesichte in der Wirklichkeit sich reichlich blass ausnehmen, den unseren, im Allgemeinen recht banalen Phantasien womöglich auch enttäuschend gleichen. Sei es, weil der süße Schlaf bisweilen Ungeheuer in den Tag entlässt, die sich partout nicht mehr verscheuchen lassen und die in künstlerische Form zu bringen allemal verwegen scheint.

Ein solcher Traum hat nun Vollrad Kutscher, wie er sagt, eine ganze Weile lang gequält, nachdem der Frankfurter Künstler vor ein paar Jahren eine Handvoll Münzen am Strand von Montpellier gefunden hatte. Nichts Wertvolles, nur ein bisschen Kleingeld des "Etat Français", wie das "Restfrankreich" des Vichy-Regimes, die Republik verneinend, nach der Besetzung von Paris durch deutsche Truppen hieß. "Travail, Famille, Patrie" - Arbeit, Familie, Vaterland - war darauf zu lesen statt der "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" der Französischen Revolution. Doch statt Vichy, die Kollaboration und namentlich den Maréchal Pétain einfach als Episode abzutun, wie es bis heute auch manche Franzosen gerne halten, gibt Kutscher ein paar alte Münzen als die aktuelle Währung aus.

Und liest "Travail, Famille, Patrie" als Menetekel für die Einigung Europas. Puh, mag man da erst einmal denken, das ist stark. Und derlei in künstlerische Form zu bringen kann schon mal leicht ins Auge gehen. Was er daraus macht, ist denn auch allemal ein Wagnis, geht aber zunächst recht überzeugend auf. "Pétain als Maler", so der Titel der installativen Arbeit in der Frankfurter Ausstellungshalle Schulstraße 1A, zeigt einerseits den Künstler selbst im Video, wie er als Maréchal im Bunker wie im Rausch die Wirklichkeit des Schlachtfelds im Stil der gefeierten Moderne und namentlich Courbet oder van Gogh auch übermalt. Nun mag man durchaus darüber streiten, ob "Pétain als Maler" als Bild für künstlerischen Eskapismus taugt.

Doch die installative Formwerdung des Bunkers in der Halle ist als klaustrophobisches Bild einer der Wirklichkeit enthobenen Zelle, als modriges, allmählich versinkendes Eiland des anderen, des der Aufklärung und der Kunst der Moderne verpflichteten Frankreich dann doch wuchtig. Und ziemlich suggestiv. Schade nur, dass selbst Kutscher diesem Bild allein offenbar nicht zutraut, die Ausstellung zu tragen. Und sich folglich zwei befreundete Kollegen eingeladen hat, mit denen er vor allem eine künstlerische Haltung teilt.

Zwar stimmt schon, dass er geradeso wie Peter Weibel und Gerhard Johann Lischka von einem performativen Ansatz ausgeht. Und etwa Weibel, dem Direktor des Zentrums für Kunst und Medien in Karlsruhe, in einem alten Schwarzweißvideo dabei zuzusehen, wie er als zigarrerauchender Fernsehsprecher in einem mehr und mehr vernebelten Studio die Nachrichten einer Boulevardzeitung verliest, ist durchaus ein Vergnügen. Doch die Filme Weibels und die meist auf von ihm selbst eingerichtete Ausstellungen bezogenen Videos des vornehmlich als Autor und Kurator bekannten Lischka nehmen mit all ihren Monitoren Kutschers Installation viel von ihrem Resonanzraum.

Darüber hinaus verschiebt sich für den flüchtigen Betrachter der Akzent der Wahrnehmung: Weibels performative mediale Inszenierung, Lischkas kluge Erläuterungen, Betrachtungen und Diskurse sowie Pétain, der Atlantikwall und die mitsamt "Travail, Famille, Patrie" versinkende Moderne - all das verwirrt am Ende mehr, als dass es Klarheit schüfe. Als sein eigener Kurator, der Kutscher bei "Pétain als Maler" ist, hat er zwar einem Albtraum Form gegeben. Doch am Ende, scheint es, hat ihn doch der Mut verlassen.

Die Schau in der Frankfurter Ausstellungshalle Schulstraße 1A ist bis zum 27. September mittwochs und donnerstags von 18 bis 20 Uhr, freitags bis sonntags von 14 bis 18 Uhr geöffnet.

Rhein-Main-Zeitung Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.September 2009, Nr. 211, S. 48

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"Nachhaltige Entsorgung" in Frankfurt
Von Nikolaus Jungwirth
 
Venus im Video


Ein paar wertlose Aluminiummünzen gaben den Ansstoß für ein ambitioniertes Ausstellungsprojekt, das jetzt in der Frankfurter 1A-Kunsthalle zu sehen ist. Die alten Geldstücke aus der Zeit des Vichy-Regimes fand Vollrad Kutscher vor vier Jahren zufällig in Montpellier.

Einige Tage später erlebte er dort bei einer öffentlichen Diskussion zur Zukunft Europas heftige Auseinandersetzungen über die längst überwunden geglaubten Wertevorstellungen der Vichy-Epoche. Die damals offizielle Parole "Travail, Famille, Patrie", die er auf den Münzen gelesen hatte, erschien ihm plötzlich kennzeichnender für die heutige auf Arbeit, Geld und privates Familienglück fixierte Geisteshaltung als der Wahlspruch der französischen Republik "Liberté, Egalité, Fraternité".

Das Erlebnis veranlasste den Künstler zur bildnerischen Auseinandersetzung mit dem Problem immer wieder wechselnder und nur unvollständig verdrängter Ideologien. Mit seinem Beitrag zu der Ausstellung mit dem beziehungsreichen Titel "Nachhaltige Entsorgung" versteht er diese Ambivalenz am Beispiel des französischen Marschalls Philippe Pétain aufzuzeigen.

Der wurde in Frankreich nach dessen Sieg im Ersten Weltkrieg als Retter der Nation gefeiert, nach dem Zweiten Weltkrieg aber als Kollaborateur zum Tode verurteilt, weil er als Staatsoberhaupt für das von den Deutschen zunächst unbesetzt gelassene Restfrankreich fungiert hatte. Dieser komplexe Sachverhalt scheint mit den einem Künstler zur Verfügung stehenden gestalterischen Mitteln eigentlich kaum darstellbar zu sein.

Vollrad Kutscher versucht es trotzdem. Und zwar mit einem Film, in dem er in Pétain-Maskerade an einem monumentalen Gemälde arbeitet. Im hektischen gestischen Stakkato des Malens erscheinen zwischen originalen Kriegsszenen die Farben der Trikolore und andere nationale Symbole, sowie Anspielungen auf immer

wieder uminterpretierte historische Entwicklungen und die widersprüchlichen Bedingungen und Abhängigkeiten der Kunst. Das Ergebnis dieses expressiven Malvorgangs ist im Inneren eines in der Ausstellungshalle errichteten mausoleumsartigen Gehäuses zu besichtigen.

Von mehreren Monitor-Bildschirmen blickt den Ausstellungsbesucher der Kulturphilosoph Johann Gerhard Lischka an - sprechend, aber tonlos. Wer wissen möchte, was er sagt, muss Kopfhörer aufsetzen. Aber das im Kunstbetrieb so beliebte Format elektronisch gestützter Rhetorik erweist sich auch hier als ungeeignet zur Vermittlung ausführlicher Texte. Denn die zufälligen Rede-Ausschnitte, die beim Hineinhören in Lischkas lange theoretische Erläuterungen zu Themen wie Mensch und Maschine oder interaktive Kunst zu hören sind, lassen den Gesamtzusammenhang allenfalls erahnen.

Die Arbeit "Venus im Pelz" des Medienkünstlers Peter Weibel ist ein geglücktes Beispiel für die Verwendung der Video-Technik als künstlerisches Ausdrucksmittel. In einer einzigen langen Sequenz wird eine Reihe weiblicher Aktdarstellungen aus unterschiedlichsten Stilepochen vorgeführt, wobei sich jede Figur jeweils langsam in die nächste verwandelt. Auf sehr anschauliche Weise wird so die permanente Veränderung des zeitabhängigen Frauenbildes gezeigt. Die Abfolge sich nackt darbietender Frauen setzt einen entspannenden sinnlichen Akzent in die Schwergewichtigkeit der Ausstellung.

Vollrad Kutscher hat die Ausstellung der drei annähernd 65-jährigen Generationsgenossen initiiert. Mit dden versammelten Arbeiten möchte er Positionen zeigen, die sich im Kontrast zum gegenwärtigen kommerzialisierten Kunstbetrieb eine kritische Distanz zu Politik und Kultur bewahrt haben. Für die Entschlüsselung der Symbole und komplizierten Bezüge erweist sich eine längere Beschäftigung mit den Exponaten sowie ein Blick in das ausliegende Schriftmaterial als hilfreich.

Ausstellungshalle 1A, Frankfurt:
bis 27. September 2009.
www.ausstellungshalle.info
Frankfurter Rundschau, 5. September 2009