"Nachhaltige Entsorgung"
in Frankfurt Von Nikolaus Jungwirth |
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Venus im Video Ein paar wertlose Aluminiummünzen gaben den Ansstoß für ein ambitioniertes Ausstellungsprojekt, das jetzt in der Frankfurter 1A-Kunsthalle zu sehen ist. Die alten Geldstücke aus der Zeit des Vichy-Regimes fand Vollrad Kutscher vor vier Jahren zufällig in Montpellier. Einige Tage später erlebte er dort bei einer öffentlichen Diskussion zur Zukunft Europas heftige Auseinandersetzungen über die längst überwunden geglaubten Wertevorstellungen der Vichy-Epoche. Die damals offizielle Parole "Travail, Famille, Patrie", die er auf den Münzen gelesen hatte, erschien ihm plötzlich kennzeichnender für die heutige auf Arbeit, Geld und privates Familienglück fixierte Geisteshaltung als der Wahlspruch der französischen Republik "Liberté, Egalité, Fraternité". Das Erlebnis veranlasste den Künstler zur bildnerischen Auseinandersetzung mit dem Problem immer wieder wechselnder und nur unvollständig verdrängter Ideologien. Mit seinem Beitrag zu der Ausstellung mit dem beziehungsreichen Titel "Nachhaltige Entsorgung" versteht er diese Ambivalenz am Beispiel des französischen Marschalls Philippe Pétain aufzuzeigen. Der wurde in Frankreich nach dessen Sieg im Ersten Weltkrieg als Retter der Nation gefeiert, nach dem Zweiten Weltkrieg aber als Kollaborateur zum Tode verurteilt, weil er als Staatsoberhaupt für das von den Deutschen zunächst unbesetzt gelassene Restfrankreich fungiert hatte. Dieser komplexe Sachverhalt scheint mit den einem Künstler zur Verfügung stehenden gestalterischen Mitteln eigentlich kaum darstellbar zu sein. Vollrad Kutscher versucht es trotzdem. Und zwar mit einem Film, in dem er in Pétain-Maskerade an einem monumentalen Gemälde arbeitet. Im hektischen gestischen Stakkato des Malens erscheinen zwischen originalen Kriegsszenen die Farben der Trikolore und andere nationale Symbole, sowie Anspielungen auf immer |
wieder uminterpretierte historische
Entwicklungen und die widersprüchlichen Bedingungen und
Abhängigkeiten der Kunst. Das Ergebnis dieses
expressiven Malvorgangs ist im Inneren eines in der
Ausstellungshalle errichteten mausoleumsartigen Gehäuses
zu besichtigen. Von mehreren Monitor-Bildschirmen blickt den Ausstellungsbesucher der Kulturphilosoph Johann Gerhard Lischka an - sprechend, aber tonlos. Wer wissen möchte, was er sagt, muss Kopfhörer aufsetzen. Aber das im Kunstbetrieb so beliebte Format elektronisch gestützter Rhetorik erweist sich auch hier als ungeeignet zur Vermittlung ausführlicher Texte. Denn die zufälligen Rede-Ausschnitte, die beim Hineinhören in Lischkas lange theoretische Erläuterungen zu Themen wie Mensch und Maschine oder interaktive Kunst zu hören sind, lassen den Gesamtzusammenhang allenfalls erahnen. Die Arbeit "Venus im Pelz" des Medienkünstlers Peter Weibel ist ein geglücktes Beispiel für die Verwendung der Video-Technik als künstlerisches Ausdrucksmittel. In einer einzigen langen Sequenz wird eine Reihe weiblicher Aktdarstellungen aus unterschiedlichsten Stilepochen vorgeführt, wobei sich jede Figur jeweils langsam in die nächste verwandelt. Auf sehr anschauliche Weise wird so die permanente Veränderung des zeitabhängigen Frauenbildes gezeigt. Die Abfolge sich nackt darbietender Frauen setzt einen entspannenden sinnlichen Akzent in die Schwergewichtigkeit der Ausstellung. Vollrad Kutscher hat die Ausstellung der drei annähernd 65-jährigen Generationsgenossen initiiert. Mit dden versammelten Arbeiten möchte er Positionen zeigen, die sich im Kontrast zum gegenwärtigen kommerzialisierten Kunstbetrieb eine kritische Distanz zu Politik und Kultur bewahrt haben. Für die Entschlüsselung der Symbole und komplizierten Bezüge erweist sich eine längere Beschäftigung mit den Exponaten sowie ein Blick in das ausliegende Schriftmaterial als hilfreich. Ausstellungshalle 1A, Frankfurt: bis 27. September 2009. www.ausstellungshalle.info Frankfurter Rundschau, 5. September 2009 |